29. September 2010
Leerstände verhindern, Herzen für die Ortskerne erwärmen: Die Gemeinden Ahorn und Itzgrund nehmen am Pilotprojekt zur Innenentwicklung teil. Vollständige Daten und vereinzelte Vorzeigeobjekte werden zur Strategie verschmolzen.
Lahm – „So ein Haus lebt und hat Charakter“, sagt Wolfgang Kraus über das alte bäuerliche Anwesen in Lahm, das er mit seiner Frau vor drei Jahren gekauft hat und seitdem renoviert. „Das erste Vierteljahr war wie Camping“, sagt seine Frau Kerstin, die sich bücken muss, um durch die niedrige Tür zu gehen.
„Wir wollen die Herzen der Menschen erreichen“, sagt Hendrik Dressel, Bürgermeister in Seßlach und Vorsitzender der Initiative Rodachtal. Am Dienstag unterzeichnete er einen Vertrag mit ifuplan aus München. Das war der Startschuss für ein Pilotprojekt des Bayerischen Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Die Gemeinden Ahorn und Itzgrund sind zwei von vier Gemeinden in ganz Bayern, die strukturiert ihr Inneres durchleuchten lassen und daraus eine Strategie für die Zukunft entwickeln.
„Wir sind ländlicher, peripherer Raum und werden es bleiben. Die wirtschaftliche Entwicklung wird entlang der Autobahn passieren“, sagt Dressel. Doch die Bürgermeister der Initiative Rodachtal wollen dem demografischen Wandel etwas entgegensetzen, was Dressel „Anpassungsstrategie“ nennt.
Beatrix Drago, die das Pilotprojekt von ministerieller Seite betreut, skizziert die Veränderungen: „Im Rodachtal werden 2025 rund zehn Prozent weniger Einwohner leben, und die werden immer älter.“ Mit einem Vitalitätscheck sollen die Gemeinden unter die Lupe genommen werden. Wo ist der nächste Bäcker? Wo der Metzger? Wie weit ist es bis zur nächsten Arztpraxis? Die Infrastruktur wird in ein neues Licht gerückt: So sind die Abwasserleitungen in anderer Zeit geplant und gebaut. Heute – und erst recht in Zukunft – werden sie zu üppig dimensioniert sein. „Die Weiterentwicklung muss innen geschehen. Ökonomisch und ökologisch ist nichts anderes denkbar“, meint Drago.
„Wir müssen die Abwärtsspirale aufhalten“, findet auch Stefan Marzelli vom Institut ifuplan. Zunächst wird er die Leerstände, Baulücken und Brachen mit Restnutzung erfassen. Dann geht es darum, Chancen herauszuarbeiten. Wo liegen die Potenziale? Wie könnte eine neue Nutzung aussehen? Wo liegt der Bedarf der Gemeinde?
In Lahm hat der Zufall geholfen, dass Wolfgang und Kerstin Kraus ihr Traumhaus gefunden haben. Aus der Verwandtschaft von Kraus kannte jemand einen aus der Verwandtschaft des Bürgermeisters, der irgendwann einmal von dem alten Haus erzählt hat. Glück für den Bürgermeister, Glück für die Familie Kraus und Glück für das alte Haus, das nun liebevoll saniert wird.
Mit dem Pilotprojekt in Ahorn und Itzgrund, das auf die Fläche der Initiative Rodachtal ausgeweitet werden soll, wird diesem Glück auf die Sprünge geholfen. Bis vor Kurzem hat auch die Gemeinde Itzgrund auf Neubauten auf der grünen Wiese gesetzt, gibt Bürgermeister Werner Thomas zu, doch heute müsse der Blick nach innen gerichtet werden.
„Das ist das Schwerpunktthema in ganz Oberfranken“, stimmt ihm Dr. Christiane Schilling vom Amt für ländliche Entwicklung zu. Sie steht für das Programm der Dorfentwicklung, das auch für Einzelmaßnahmen wie das der Familie Kraus Fördermöglichkeiten hat. „Nach diesem Pilotprojekt wollen wir den Vitalitätscheck auch für unsere bisherigen Dorfentwicklungen nachholen“, sagt Schilling.
300 bis 350 Jahre ist das Haus der Familie Kraus alt. Die Holzbalkendecke, die das Ehepaar entdeckt hat, ist ein Hinweis auf das Alter. „Weggerissen ist immer schnell“, sagt Wolfgang Kraus. Er möchte lieber erhalten, wo es möglich ist. Dafür braucht es die Analyse und den Rat von Experten. Auch da hatte Kraus Glück, die richtigen Freunde zu haben: Zwei Architekten fanden eine solide Substanz. Analyse und Beratung soll den Hausbesitzern künftig systematisch angeboten werden.
„Mit der Studie bekommen wir das Handwerkszeug für eine Strategie“, freut sich Martin Finzel, Bürgermeister der Gemeinde Ahorn. Wichtig sei die Kommunikation – und lebendige Innenräume bieten dazu den Rahmen. Es soll eine Atmosphäre für Investitionen geschaffen werden, die die Wohnqualität im Inneren schätzen. „Die Entwicklung von Innenstädten und Dorfkernen ist eine Daueraufgabe“, sagt Hendrik Dressel, der in Seßlach seit 27 Jahren daran arbeitet. Das gilt auch im Kleinen, wie Kerstin Kraus weiß: „Wenn wir mit der Renovierung einmal durch sind, fangen wir vorne wieder an.“
Tim Birkner