11. Juni 2010
Coburg - Ehrlich gesagt, ich hatte sie mir anders vorgestellt. Imposanter irgendwie. Die Vuvuzela, die Nelson Mandela zu hunderten mit nach Zürich gebracht hatte, als der WM-Gastgeber 2010 bekannt gegeben wurde.
Nun liegen drei Plastikteile in einer eben solchen Tüte vor mir. Die Verpackung erinnert an Paprika-Chips. Ich reiße die Tüte auf und erkenne in einem schwarzen Plastikrohr das Mundstück. Bedruckt ist es mit "Made in Germany" und den Daten des Herstellers.
Das Mittelstück ist rot, mit einer Öse für den Tragegurt und einem Haken versehen, an dem man eine Fahne befestigen kann. Aufgedruckt sind ein Ohr und eine direkt darauf gehaltene Vuvuzela. Durchgestrichen. Niemandem direkt ins Ohr tröten, heißt das.
Das gelbe Teil ist trichterförmig und trägt den Vuvuzela-Schriftzug. Außerdem enthält es den zweiten Haken für die Fahne. Zusammengebaut ist die Vuvuzela 62 Zentimeter lang. Das ist lang, wenn ich mir vorstelle, dass begeisterte Menschen vor mir - sei es im Fanblock im Stadion oder sei es im WM-Garten - auf und ab hüpfen. Ich stelle mir vor, wie sich die Vuvuzela - ruckartig nach hinten bewegt - an meinen Zähnen anfühlt.
Zum Glück hüpfen gerade keine begeisterten Menschen vor mir auf und ab. Ich bin mit meiner im Spritzgussverfahren in Deutschland gefertigten und TÜV-geprüften südafrikanischen Freundin ganz allein. Was soll also passieren? Schlimmstenfalls kriege ich keinen - soll ich das wirklich Ton nennen? - heraus. Macht nichts. Keiner da, der mich auslachen könnte und die Anschaffungskosten in Höhe von 2,99 Euro sind zu verschmerzen.
Wenn ich keinen Ton rauskriege, schenke ich meine Vuvuzela eben den Nachbarskindern. Also den Nachbarskindern meiner Mutter. Die wohnt nämlich weit weg. Denn wer tatsächlich einen - soll ich es wirklich Ton nennen? - aus der Vuvuzela kriegt, wird keine Schlummermusik zum Klingen bringen. Eigentlich gar keine Musik. Ein Geräusch, und zwar kein leises.
Keine Schlummermusik
Das machen Kritiker der Vuvuzela zum Vorwurf: dass sie unglaublich laut und damit lästig sei. Gegner forderten gar, sie in Fußballstadien zu verbieten. Gesundheitsschädlich sei sie nämlich, könne Gehörschäden verursachen.
Die Neue Presse wollte es genau wissen: 1. Wie bläst man die Vuvuzela richtig? Und 2. Wie laut ist sie wirklich?
Donnerstag, 10. Juni, exakt 24 Stunden vor dem Anpfiff des Eröffnungsspiels der Fußball-WM in Johannesburg herrscht Spannung auf der Bühne des großen Hauses des Coburger Landestheaters. Im Hintergrund wird das Bühnenbild für den Abend vorbereitet. Aida.
Vorn am Bühnenrand bereitet Werner Weber, Umweltingenieur der Stadt Coburg, sein Messgerät vor. Neben ihm steht Thomas Krämer, der Vorsitzende der Blaskapelle Meeder, eine Vuvuzela in der Hand. Er fachsimpelt mit Jason-Nandor Tomory, Opernsänger (Bass-Bariton) am Landestheater Coburg.
Thomas Krämer holt Luft und bringt die Vuvuzela - soll ich es wirklich zum Klingen nennen? "Noch mal", sagt Weber. Thomas Krämer holt noch einmal Luft. Ein langer - soll ich es wirklich Ton nennen? Zwei, drei kurze. "101,9 dB(A)", sagt Weber. "Ich dachte, eine Vuvuzela kann 130 Decibel", wundert sich Ines Schäfer, Assistentin Öffentlichkeitsarbeit am Landestheater.
Dann räuspert sich Jason-Nandor Tomory, holt Luft und singt einen - ich muss nicht lange überlegen - Ton. Lang, laut und schön. "Gleichstand", sagt der Umweltingenieur der Stadt. Krämer wundert sich: "Was, Jason war doch viel lauter als ich."
Aber das Messgerät zeigt 101,7 dB(A) an. "Da verschätzt man sich leicht", sagt Werner Weber. "Das macht es so schwer, den Menschen die Ergebnisse unserer Messungen zu vermitteln." Wie viel Lärm ist zumutbar? Wie laut ist die Baustelle nebenan? Wie laut sind die Gespräche im Biergarten? Wie viel dB(A) sind zumutbar? Mit solchen Fragen beschäftigt sich Weber tagtäglich.
Noch einmal bläst Thomas Krämer. "Ein Tenorhorn wäre mir lieber", sagt er. "Dieses Ding macht sehr schnell dicht. Da geht einfach nicht mehr." Das wiederum sei Absicht, sagt Gerd Kehrberg, Geschäftsführer der Urbas/Kehrberg GmbH, der Herstellerfirma der Vuvuzela® made in Germany.
"Wir haben die Kritik der Gegner wegen der Lärmbelästigung und befürchteter Gesundheitsschäden sehr ernst genommen und in enger Zusammenarbeit mit dem TÜV Rheinland einen Schalldämpfer eingebaut", sagt Kehrberg über sein Produkt. Der scheint gut zu funktionieren.
Übrigens sagt Kehrberg auch: "Unsere Vuvuzela ist kein Spielzeug. Sie entspricht den Normen des Arbeitsschutzes. Sie ist ein Fan-Artikel mit möglichst hohem Spaß-Faktor."
Unabhängig von der Lautstärke und dem Gleichstand dieses kleinen Sänger-Vuvuzela-Wettstreits: Jeder, der bei diesem Test dabei war, fand Jason-Nandors Stimme wesentlich angenehmer als das Tröten der Vuvuzela. Am Samstag, 12. Juni, um 14.30 Uhr ist Tomory als Papageno in der "kleinen Zauiberflöte" im Landestheater zu hören.
"Maschinen- und andere künstliche Geräusche nerven immer mehr als die menschliche Stimme. Das hat mit dem rein numerischen Messergebnis nichts zu tun", sagt Weber. Außerdem spiele ja der Abstand von der Geräuschquelle und die Dauer der Belastung eine wesentliche Rolle. Nerven wird die Vuvuzela in den kommenden WM-Wochen vermutlich viele. Schaden muss das Tröten aber noch lange nicht.
Am besten mit Ohrstöpseln
Gut beraten ist in jedem Fall, wer ein paar Ohrstöpsel mit in den WM-Garten bringt. Die schützen auch vor allzu lauten Rasseln, Hupen und Pfeifen. Übrigens: Wer ein Pfeifen oder Sausen im Ohr verspürt, Geräusche gedämpft wahrnimmt oder eine Art Wattegefühl im Ohr verspürt, sollte einen HNO-Arzt aufsuchen. Um Dauerschäden zu vermeiden.
Christa Burkhardt