22. Januar 2010
Neustadt - Wer beim Arzt oder Pfarrer keinen Rat mehr bekommt, ruft bei Isolde Kalter an, der Stadtheimatpflegerin in Neustadt. Da fragt eine Frau aus Lothringen, ob ihr Dienst als Arbeitsmaid in Neustadt 1942 bestätigt werden könnte (konnte nicht). Da braucht ein Coburger Historiker Texte über das „Jahr ohne Sommer“ – 1816 (bekam er). Da wünscht ein Lehrer aus Thüringen Informationen zu geschleiften Dörfern an der Zonengrenze (bekam einen Literaturtipp). Da wollte das Jugendorchester wissen, ob es wirklich am 5. November 1979 gegründet wurde (wurde es). Da suchte eine Medizinhistorikerin jüdische Zahnärzte aus der Zeit zwischen 1925 und 1938 (ihr konnte nicht geholfen werden). Und schließlich war da der Schwabe, der wissen wollte, ob der Reichstag 1455 in Neustadt stattgefunden habe (es war die Wiener Neustadt).
Der Jahresbericht von Isolde Kalter im Stadtrat am Montagabend deckte die gesamte Bandbreite ihrer ehrenamtlichen Arbeit ab. So durfte sie feststellen, dass der Wochenmarkt in Neustadt nicht erst seit nach dem Zweiten Weltkrieg existiert, sondern bereits seit 1482.
Die heute gültige Marktordnung änderte der Stadtrat in seiner Sitzung übrigens einstimmig. Der nie verwendete Absatz, dass einheimische und bekannte Händler im Zweifel vorzuziehen seien, wurde gestrichen, weil er gegen geltendes europäisches Recht verstoße. Bislang musste noch nie ein Händler abgewiesen werden, weil stets genügend Platz vorhanden war.
Doch zurück zu Isolde Kalter, die auch Wünsche hegt. Sie wünscht sich, dass der Lutherweg durch Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen auch durch Neustadt geht. Schließlich predigte Luther am Karfreitag 1530 in St. Georg. Dafür setzt sie ihre Kontakte ein.
Sie wünscht sich, dass das „Netzwerk Buchenwald“ mit Leben gefüllt wird, denn Buchenwald war überall, auch mit einem Außenlager in Neustadt. Dafür fährt sie auf Tagungen.
Sie wünscht sich eine wissenschaftliche Grabung am Muppberg, damit sie endlich ordentlich Auskunft geben kann, ob nun Kelten dort siedelten oder nicht. Bislang sind nur einzelne Keramikscherben gefunden. Wenn der Wissenschafts-Tross dann anrücke, könnten gleich noch einige Mittelalterarchäologen mitkommen, die an der Ottilienkapelle schürfen dürften.
Ein wenig Archäologie ist ihr zusammen mit dem Bauamt andernorts gelungen. So ist unter der Teerdecke des Prysmian-Parkplatzes ein Bauschuttstreifen entdeckt worden, der vermutlich als Befestigung des Weges zum Drehkreuz über die Bahngleise bei Haarbrücken gedient hatte. Auch Zeitzeugen erinnern sich an den Weg, sodass es naheliegt, dass es sich um einen offiziellen Weg gehandelt hat.
Und Isolde Kalter wünscht sich, dass die Halbtagskraft, die derzeit im Archiv arbeitet, bleibt. Momentan arbeitet sie unter anderem den fotografischen Nachlass der Neustadter Journalistin Annerose Rempel und die Fotos und Vereinsschriften aus der Neustadt-Redaktion der Neuen Presse auf.
Von den Kelten bis zur Neuzeit: Isolde Kalter half auch der Autobahndirektion Nordbayern für deren Ausstellung „20 Jahre in Bewegung“, die vom 23. März bis 15. April in Neustadt zu sehen sein wird. Und sie korrigierte den Eintrag in Wikipedia zu Neustadt während der Weimarer Republik. „Da weiß ich, wie wenig ich dem Rest trauen kann“, fügte sie für die Stadträte hinzu.
Die trauten ihren Ohren nicht, was ödp-Rat Thomas Büchner beantragte. Die Stadt solle Bürgschaften für Neustadter Bürger übernehmen, die Solaranlagen auf Neustadter Dächern bauen wollen und dafür Neustadter Handwerker beauftragten. Alle bis auf Büchner lehnten den Antrag ab. Die beiden wichtigsten Gründe nannte Oberbürgermeister Frank Rebhan: Erstens verstoße es gegen geltendes europäisches Recht. Zweitens finanzieren Banken nahezu alle Dachanlagen. Rebhan fragte dort nach: „Abgelehnt wird nur, wenn der Gläubiger überschuldet ist – und dann sollten wir einspringen?“
Tim Birkner